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07.12.2017
Treffen mit Florence Delaage in Paris - Oktober 2017
Christian DUCOR : Liebe Florence, Sie haben gerade eine CD aufgenommen, die fast ausschließlich Wagner gewidmet ist, unter dem Titel « Endless Wagner », Wagner unendlich, Wagner ohne Ende … Aber wie steht es mit dieser Unendlichkeit bei Wagner und dem Programm, das Sie registriert haben ?
Florence Delaage : Ich habe Hans von Bülows Quintett-Paraphrase (selten gespielt) aus dem dritten Akt der Meistersinger aufgezeichnet, die Abendstern-Romanze, Elsas Traum, Lohengrins Verweis an Elsa -dieses letzte Stück ist sehr ergreifend-, das Spinnerlied aus dem Fliegenden Holländer, den Feierlichen Marsch zum heiligen Gral aus Parsifal, Liszts Transkriptionen, sowie den Notenbrief für Mathilde Wesendonck, ein Werk, das Wagner allein während seiner schlaflosen Nächte geschrieben und dann für den Tristan wieder aufgenommen hat.
Ch. D.: Wie würden Sie diese Paraphrase von Hans von Bülow definieren und wie unterscheidet sich diese Ihrer Meinung nach von den Franz Liszt-Transkriptionen ?
Fl. D.: Für mich ist sie viel mehr eine Improvisation mit einem romantischen Elan als eine Paraphrase. Hans von Bülow war ein hervorragender Pianist, wohingegen Liszt mehr analysierte, ein transzendenter Komponist, dessen Seele sich mit der von Wagner verband. Hans von Bülow war ein großer Dirigent und es ist interessant, einen Stil zu hören, der sich von Liszts Stil sehr unterscheidet. Liszt bringt seine eigene Persönlichkeit in das Werk seines Freundes hinein, den er damit auch gleichzeitig versuchte zu verteidigen und zu unterstützen.
Bei Liszt berühren mich einige Transkriptionen stärker. Der Liebestod von Isolde wiederholt den Gesangsteil, aber auch den Orchesterteil. Es ist ein echtes Meisterwerk, dessen Intensität mich tief berührt. Dabei denke ich ganz besonders an den wunderbaren Pianisten Dino Ciani, der auch mein Freund war. Ich konnte meine Tränen nicht unterdrücken, als ich Isoldes Liebestod spielte, denn er erinnerte mich unwillkürlich an sein tragisches Ende.
Ch. D.: Diese CD wurde gerade veröffentlicht und Sie werden Recitals mit dem Programm dieser Aufzeichnung geben ?
Fl D: Am 10. November 2017 spiele ich anlässlich des Symposiums zum 100. Geburtstag von Wieland Wagner in Berlin. Dieses Programm werde ich auch am 12. März 2018 im Pariser Salle Gaveau präsentieren, eventuell mit Beethovens Sonate « Der Sturm », Chopins Präludien und Ravels « Jeux d'Eau » (Wasserspiele).
Ch. D.: Diese CD "Endless Wagner" ist ein Zeugnis Ihrer alten Leidenschaft für Wagner. Erzählen Sie uns doch etwas von Ihren Erinnerungen !
Fl. D.: Wir waren in der Familie begeisterte Wagnerianer. Bereits als junges Mädchen nahm mich meine Mutter in die Oper Garnier zur Aufführung der Meistersinger mit. Da mir in diesem Alter der Zutritt verwehrt worden wäre, musste mich meine Mutter unter ihrem Kleid verstecken. Ich war bis zum Ende bezaubert.
Ich habe seitdem nie aufgehört Wagner zu hören. Natürlich habe ich eine Vorliebe für den Ring des Nibelungen, sicherlich auch für Tristan und Parsifal, aber ich muss gestehen, dass ich sie … alle liebe ! Vielleicht denke ich dabei besonders an die Chords des Wanderers im Siegfried : Eine außergewöhnliche Sache. Oder auch das Erwachen von Brunnhilde. Es ist schwer zu sagen, ob ich Tristan oder Parsifal bevorzuge, aber ich denke, dass ich beide leidenschaftlich mag !!!
Ch. D.: Was war Ihre erste Erinnerung an Bayreuth und inwiefern ist Bayreuth eine einzigartige und andere Erfahrung?
Fl. D.: Aber das wurde alles schon 100.000 Mal gesagt ! Das Theater ist außergewöhnlich, der Klang kommt auf eine Weise heraus, die sie betört. Das habe ich sofort bei meinem ersten Besuch im Jahre 1976 gefühlt, als ich von Mercedes Bahlsen, der Bundesvorsitzenden des Richard-Wagner-Vereins, eingeladen wurde. Danach habe ich jedes Jahr Bayreuth besucht. Ich bin auch Mitglied der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth und habe oft im Haus Wahnfried, sowie in der Stadthalle gespielt.
Ch. D.: Was meinen Sie mit Betörung ?
Fl. D.: Die Art und Weise wie die Lichter ausgehen, bereitet uns auf etwas Magisches vor. Man sieht nichts mehr, nicht einmal das Orchester, und die Musik ertönt und wird immer stärker. Das ist einfach genial und einzigartig in der ganzen Welt.
Ch. D.: Was sind Ihre jüngsten Erinnerungen an Bayreuth?
Fl. D.: Was mich begeistert, ist vor allem, dass es immer sehr gute Sänger und Dirigenten gibt. Alles ist von hohem Niveau und ich denke, dass dieser Niveauanstieg in den letzten Jahren maßgeblich Eva Wagner-Pasquier zu verdanken ist, was mich immer wieder erfreut und überzeugt. Auch Katharina Wagner folgt den gleichen exzellenten Weg, der ihr Vater, Wolfgang Wagner, bereits vorgezeichnet hat und den ich selbst sehr verehrt habe.
Ch. D.: Wie berührt Sie Wagners Musik, der doch eigentlich kein Komponist für Klavier war ?
Fl. D. : Wenn ich Wagner höre, bin ich sehr bewegt. Er versetzt mich in eine unwirkliche Welt, in einen Sterntraum. Aber ich liebe nicht nur Beethoven, Schubert, Schumann und die deutsche Musik, sondern auch die französische Musik, wie Debussy und Ravel, ohne meinen lieben Chopin zu vergessen.
Ich liebe auch leidenschaftlich die Musik von Racines und Baudelaires Versen, und die von Victor Hugo, den ich verehre.
Ch. D.: Ihre Ausbildung war in gewisser Weise ein Sonderfall. Sie waren ja die Schülerin von Alfred Cortot, den Sie ganz am Ende seiner Karriere kennen lernten. Wo haben Sie ihn getroffen ? Wie hat er unterrichtet ?
Fl. D.: Nachdem ich die Aufnahmeprüfung am Pariser Konservatorium (Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris) als Erste bestanden hatte, nahm ich mein Studuim in der Klasse von Yvonne Lefébure auf. Danach gab es Zwistigkeiten, wie es in der Musik eben oft vorkommt. Und als Cortot auf mich aufmerksam wurde, musste ich wählen. Er hatte einen Saal in der Pariser Ecole Normale de Musique öffnen lassen, und während ich Robert Schumanns Fantasie und Franz Liszts La Leggierezza vorspielte, hörte er plötzlich auf zu rauchen ! Ich glaube, es bedarf keiner weiteren Worte ! Daraufhin reichte ich meine Kündigung am Konservatorium ein, um mit ihm die letzten fünf Jahre seines beruflichen Lebens zu teilen, in denen ich noch so viel von ihm lernen konnte. Da er in Lausanne lebte, verließ ich jeden Morgen Paris und fuhr am Abend wieder zurück ! Ich spielte in einem echten Museum, vor dem berühmten Wagner-Porträt von Renoir, das sich heute im Musée d'Orsay befindet, dem Manuskript der Sonate von Liszt und vor Chopins Wiegenlied.
Fast jede Woche warteten meine Eltern am Ende des Bahnsteigs auf mich. Sie fragten mich, wie es verlaufen sei. Ich durfte nichts notieren, weil es zu lange gedauert hätte, also versuchte ich, mich an alles zu erinnern, was ich im Kopf behalten hatte ... und auch in meinem Herzen.
Als ich klein war, hörte ich, wie Cortot César Franks Symphonische Variationen interpretierte und sagte ganz laut : « Ich will nur mit diesem Mann spielen ! » Und mein Traum ging in Erfüllung.
Ch. D.: Welches Repertoire hat er Sie einstudieren lassen ?
Fl. D.: Da ich das Recht hatte alles zu fragen, bat ich ihn ganz einfach um seine …. gesamten Werke ! Das war natürlich ein bisschen lächerlich, denn ich konnte mich ja keineswegs mit Cortot auf eine Stufe stellen. Es half mir aber insofern, dass ich mir sein Repertoire sehr schnell erarbeiten konnte, da er aufgrund seines Alters ständig befürchtete, nicht mehr genügend Zeit zu haben. Daher sollte ich jeden Kurs voll nutzen und erst später alle Details nachschauen. Sein Unterricht dauerte zwei bis drei Stunden.
Cortot erzählte mir von Cziffra, einem außergewöhnlichen Pianisten, den er im Radio gehörte hatte und beauftragte mich, ihm Glückwünsche zu überbringen. Ich ging zum Theater der Champs-Élysées und so kam es, dass Cziffra, nach Cortots Tod, mich ebenfalls ehrenhalber arbeiten ließ.
Ch. D.: Was hat es Ihnen gebracht, sich vom institutionellen Werdegang des Pariser Konservatoriums distanziert zu haben ?
Fl. D.: Cortot hat mich gelehrt, bestimmte Phrasen zu betonen, die Klangfarbe der Timbres zu variieren, ebenso das Rubato, das ein Moment der Freiheit ist (wobei der Rhythmus immer mit der linken Hand geleitet wird). Aufgrund eines Unfalls am rechten Handgelenk begann ich, an Pariser Konservatorien zu unterrichten, wo ich mich als Lehrer sehr glücklich schätzte. Ich fühlte mich immer mit meinen Studenten sehr verbunden und diese Freundschaften bestehen heute noch.
Ch. D.: Was sind die emblematischsten Erinnerungen Ihrer Beziehung zu Cortot ?
Fl. D.: Die Erinnerungen, die ich an ihn habe, sind einfach außergewöhnlich : Liszt hatte von einer Verehrerin einen Ring erhalten, der sich öffnet und im Inneren Liszts Haare enthält (eine Haarsträhne von ihm als junger Mann und eine weitere als älterer Mann). Und dann seine beiden Flügel : Der Steinway ist in Paris und der Pleyel, auf dem ich in Lausanne gespielt habe, ist in Dinard.
Ch. D.: Neben der deutschen Kultur haben Sie noch eine andere Leidenschaft, es ist ...
Fl. D.: Italien! Das ist Wahnsinn ! Die Musik, die Museen, das italienische Publikum, die Sprache, die mir vertraut ist. Das ist für mich das Traumland !
Ch. D.: Wie für Wagner?
Fl. D.: Ja, wahrscheinlich und ich glaube, Wagner war von Florenz sehr beeinflusst. Er dachte übrigens ernsthaft daran, sich dort niederzulassen. Was die Glocken im Parsifal betrifft, so hat er sich eindeutig von den Glocken der Städte Siena (eine schöne Stadt aber mit einer weniger schönen Kuppel) und Florenz inspirieren lassen, wobei die Florenzer Glocken ein bisschen falsch klingen. Die Letzteren sind, für mich jedenfalls, die Glocken aus Wagners Parsifal. Ich gehe gern spät am Abend in der Stadt spazieren. Ich hatte Glück, denn mein erstes großes Konzert im Ausland fand in Florenz statt. Als ich an der Accademia Chigiana in Siena spielte, sagte Cortot während einer seiner Interpretationskurse, dass die Franzosen gut spielen sollten, da der Generalkonsul von Frankreich kommen würde. Nach Cortots Tod bat mich der Konsul, in Florenz aufzutreten und so spielte ich am 14. Juli (zum Nationalfeiertag) vor 2000 Leuten im Boboli-Garten, der hell beleuchet war, mit vielen Spots, installiert auf dem Gesims des Palazzo Pitti : Einfach fantastisch, wenn auch meine Tasten nur zur Hälfte beleuchtet waren ! Und ich beendete das Programm mit dem Prélude von Debussy "Feux d’artifice" (Feuerwerk) und der Marseillaise.
Ch. D.: Ihre Karriere kann man letztendlich als "marginal, nicht eindeutig zuordenbar" bezeichnen. Sind Sie vielleicht so etwas wie ein Rebell ?
Fl. D.: Ich bin sehr rebellisch veranlagt ! Denn das ist auch - ein bisschen - mein Charakter. Ich wurde immer gut im Ausland empfangen und habe in verschiedenen Städten Italiens Karriere gemacht. Es war dann doch eine ganz besondere Ehre für mich, zum 150. Jahrestag der italienischen Einheit spielen zu dürfen. Dabei musste ich unwillkürlich an Garibaldi denken. Ich bedaure keinesfalls die von mir gewählte berufliche Laufbahn, denn Italien und Deutschland haben mein Leben zu einem reich erfüllten Künstlerleben gemacht.
Meine Eltern gewährten mir stets eine großzügige Unterstützung : Mein Vater war ein großer Architekt und meine Mutter stammte aus einer Musikerfamilie. Sie haben immer nur an eine Sache gedacht, und zwar an meine Kunst. Ich sollte auf diesem Gebiet vorwärts kommen. Sie waren daher hoch erfreut über meine Wahl, Cortot zu folgen. Es war die Voraussetzung für meine persönliche Entwicklung und eine außergewöhnliche Chance, die ich nicht verpassen wollte.
Schließlich sollen Sie noch wissen, dass mich Cortot "einen bretonischen Felsen" nannte- denn ich stamme aus Dinard, einer Stadt in der Bretagne- und dass er Pfade schlagen würde, um dorthin zu kommen !
Ch. D.: Liebe Florence, ein großes Dankeschön dafür, dass Sie uns einen kleinen Einblick in Ihre Welt der Kunst erlaubt haben ... .