© Bayreuther Festspiele, Meistersinger 2018

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05.05.2023
Eine Meistersinger-Inszenierung. Anlässlich „10 Jahre Musiktheater Linz“ –
Eine Meistersinger-Inszenierung.
Anlässlich „10 Jahre Musiktheater Linz“ –
EINE WAHRLICH WÜRDIGE FESTOPER „Kinder, schafft Neues !
“ Richard Wagners Aufruf an die Nachgeborenen nicht in der Anbetung der Asche zu verharren, sondern neugierig zu sein und zu bleiben, immer Neues zu wagen, wurde zum Motto der Neuinszenierung der „Meistersinger“ in Linz. Anton Bruckner hatte 1868 das Neue gewag(ner)t und den Schluss der Festwiese (3. Akt) in den Linzer Redoutensälen aus der Taufe gehoben. Heuer 2023 wurden die „Meistersinger“ zur Festoper des 10er Jubiläums des neuen Musiktheaters zu Linz. Erste Einblicke ins szenisch musikalische Gewirk gab’s im Rahmen eines stimmig informativen Sonntagfoyers der Freunde des Musiktheaters und bei einer offenen Probe mit Orchester: „Bewahrt euch vor Gespenstern und Spuk, …“ stand auf dem Vorhang zu lesen – Worte des Nachtwächters, die man bei der aktuellen Linzer Werkdeutung dem Kinderchor im Off in die Münder legt – Kindern, die Neues schaffen sollen. Früher sagte man, dass der jeweilige Nachtwächter demnächst den Sachs geben würde – Ganz im Sinne von: „Was Hänschen nicht lernt, singt (den) Sachs nimmermehr …

Mir ist, als wär ich gar wie im Traum
Klein Eva, die im strahlenden C-Dur ihres Kinderzimmers der Spielzeugstadt Nürnberg samt MegaPlüschteddy, aus der Lade die Spielgefährten ihrer kindlichen Phantasie herausholt: Puppe (Olympia) Magdalena und (Grüßaugust) David, sowie ihren stolzen Ritter Walther, bei dessen Kreation sie selbst Hand anlegt und hofft, dass dieser einen entsprechenden Karrierestart hinlegt. Die Figuren bekommen mit einsetzendem 1. Akt geistlich gestärkt ihre Stimme und damit auch eigene Persönlichkeit. David (genervt von den anderen Lehrbuben, die er am liebsten in einen Kulissenkasten verbannt hätte) versucht eifrig dem Liegestütz übenden, ritterlichen „Spielkameraden“ von Stolzing das Rüstzeug für ein meisterliches Singerdasein zu vermitteln, doch dann bricht die „Harry Pogner-Welt“ der erwachsenen Meistersinger über Evas Traumwelt herein. Im fränkischen Hogwarts regiert die Enge der Tabulatur. Was dort als königliches Schach beginnt (Meister Sachs ist dabei jene Figur zugedacht, die zu überraschenden, befreienden Rösselsprüngen taugt) wird schnell zur Inquisition der Spitzhüte, die in Umkehrfunktion an Nürnberger Trichter erinnern … Eben noch Kandidat bei der sängerischen Reifeprüfung wird der nun „Angeklagte“ von der „ehrenwerten“ Lebkuchen-Mafia über den Jordan geschickt. Hinter den großen Fenstern rollen bereits die Spielbälle des 2. Teils der Geschichte …

Johannisnacht-Pubertät
Nun ja, in der Johannisnacht darfs schon mal „flippig“ werden & ein echter Flipper ist bekanntermaßen der Freund aller Kinder und Große nicht minder lieben auch ihn … Dies bedeutet nun allerdings nicht, dass sich das Musiktheater per Metamorphose in ein Delfinarium an der Pegnitz wandeln würde. Vielmehr wird die Bühne im 2. Akt zu einem riesigen „Nürnberg-Handwerkerhof-Flipperautomaten“ und die handelnden Personen mutieren zu Spielbällen des Geschehens: Alice Eva ist gewachsen (Jahreszeiten glitten an den Fensterscheiben des saalartigen Kinderzimmers vorbei) – Teenie Eve verabschiedet sich von ihrer deutlich kleiner gewordenen Kinderstube und dem nun handlichen Bären, gezoomt in ihre neue Welt. Im 2. Teil des Satyrspiels auf das höfische Minnesängerdrama Tannhäuser von den Lehrbuben zu Mickymaus im Las Vegas der Handwerker umgemodelt. Als Wartburg-Vorläuferin Elisabeth hätte sie nun singen können: „Dich teure Spielhölle grüß ich wieder“ … Statt dessen verstummt Lolita Eva zusehends neben „Landgraf“ Papa Pogner und „Onkel“ Sachs. Keine tröstende „Teestunde“ beim Schuster, sondern Ernüchterung …

 „Wie duftet hold der Flipper“
Walther von Stolzing macht einen Boxenstopp bei Eva, befreit diese von gleichaltrigen Schickimickis. Sachs nimmt sich im Gegenteil zu Hans-Dampf-in-allen-Gassen im flächendeckenden Wahn wie ein Fremdkörper aus, bis auch er (gleich Donner) den Hammer auspackt. Falco Beckmesser (sensationell: M. Achrainer) hingegen ausgestattet mit Pomade und „Keytar“ fügt sich als Ergänzung wunderbar ins neue Bild, in dem menschliche Spielbälle das Chaos der Prügelfuge einleiten und beflügeln. Nicht „Junge Römer“, sondern ebensolche Nürnberger beenden aber auch den Spuk der Glühwurmabteilung. Schade,dass man zu den originellen Bratwurst-Bumpern keine mechanischen Flipperfinger angedacht hatte, mit denen man ganz deutlich abgestimmt auf die Musik die Kugeln ins Spiel hätte befördern können – synchronisiert mit Meister Poschner und seinem wunderbares BOL, wie bei Lichtorgeln der 70er Jahre (- Vielleicht sollte man ja bei einer anderen Inszenierung ein so gesteuertes BOL-Billard in Betracht ziehen) …

Wahn,Wahn, überall Wahn
Im 3. Aufzug wird die junge Frau Eva in die phantasiebefreite Öde einer Wahnwelt gebeamt. Vom www. ihrer Wunderland-Wagner-Welt ist nur noch der Flipperautomat übrig. Sachs sucht in dieser einsamen Perspektivenlosigkeit seinen ganz persönlichen „Wahnfrieden“, als David und das Erscheinen von Walther ihn zu neuen Taten ermuntern. Ein Morgentraum wird zur Meister-Weise, deren Taufe das traumhafteste Quintett der Musikhistorie gebiert. Hier verschmelzen die Bilder und Wünsche von Eva, Walther, „Jungfer Lene“, David und Sachs (des Linzer Ensembles) zu einem unsagbar überirdischen Klang. Doch schon während dessen dringt die Außenwelt in diese Idylle vor. Ein großer Gabelstapler liefert Holzcontainer, die Spielautomaten zum Inhalt haben – beschriftet mit Komponistennamen … Gesponsert von den aufmarschierenden Zünften, den Meistersingern als Paten? Die ursprüngliche Tristesse eines Bunkers weicht einer Festplatzenge, umzingelt von Meister-Flippern, die sich nach der Blamage von Beckmesser zu einer Reihe ordnen, um Walthers Preislied den adäquaten Rahmen zu geben. Eva jedoch beginnt den nun würdigen Meistermann wieder in ihren Ritter rückzubauen und zu maskieren – den so nun logischen, aber für alle doch überraschenden Satz hat sie in ihre Rolle einverleibt: Nicht Meister ! Nein ! Will ohne Meister selig sein (- musikalisch wurde nichts verändert, nur hohe Männer- gegen Frauenlage getauscht) Da hebt es selbst Meister Sachs aus den Angeln, doch im Inhalt seiner Schlussansprache findet sich auch Eva wieder, denn sie möchte ihre kindliche Phantasie und Kreativität behalten, frei im Spiel und in der Kunst. Es ist an der jeweils nächsten Generation, den Kindern also, das Neue (spielerisch) aus dem Wissen um Tradition heraus zu schaffen – dass alles blüh und wachs – vermerkt freudig dann wohl auch Meister Sachs ! (- Bei den vielen Vorhängen am Schluss verbeugten sich Schustermeister und Stadtschreiber versöhnlich gemeinsam)

Hier gilt’s der Kunst !
(- ein vielschichtig verwendetes Zitat von Eva) Verdiente BRAVI für die intelligente, liebevolle und detailreiche Inszenierung (Paul-Georg Dittrich: Konzept- & Personenregie), entsprechendes Bühnenbild, tolle Kostüme, großartige Licht- und VideoUmsetzung, Farb- & Lichtwechsel exakt abgestimmt auf die Musik, passendes Freeze und bewusst gesetzte überlange Pausen, spielfreudige, bestens disponierte GesangssolistInnen, strahlende Chöre und einen Festspiel-Maestro Markus Poschner samt Super-BOL <<<
So inszenierte, individuelle Traumausdeutung statt öder Reclam-Inszenierung ist gefragt !!!
Es war wohl ein Schneider zur Hand, der viel Mut hatt‘ und Verstand


Manfred Pilsz

Herzliche Gratulation ans gesamte Team (in wechselnder Besetzung)

https://www.landestheater-linz.at/stuecke/detail?EventSetID=3726&ref=3726121221601&spielzeit=2022/23