© Bayreuther Festspiele, Meistersinger 2018

News der Mitglieder

27.06.2018
Glyndebourne - Operngenuss im Bayreuth Südenglands
Vom 13. bis 18. Juni 2018 reisten 24 Mitglieder des RWV Frankfurt nach Südengland, um das Glyndebourne Festival zu erleben und die Geschichte sowie Gartenbaukunst von Sussex kennenzulernen.
Photos : Hever Castle, Petworth House - the art collection, Brighton Pavilion and 2 of the Glyndebourne gardens - all copyright Christoph Jenisch and Glyndebourne (copyright Glyndebourne Festival Theatre)

John Christie war ein Opernenthusiast. Schon in den 1920er Jahren veranstaltete er Konzerte, Liederabende und Opernminiaturen, damals noch im Orgelsaal seines Landsitzes in Sussex. Dabei übernahm er nicht nur die Rolle des Gastgebers. Im Juni 1928 wirkte er auch als Beckmesser im 3. Akt der Meistersinger mit. Durch seine Festspielbesuche in Salzburg und Bayreuth inspiriert, verwirklichte er sich 1934 einen Traum und gründete sein "privates Bayreuth", also Opernfestspiele samt 311-Plätze-Opernhaus, das er sich neben seinem Landhaus errichten ließ. Eröffnet wurde das Glyndebourne Festival zwar nicht mit Wagner, aber es etablierte sich mit der Hochzeit des Figaro eine bis heute gepflegte Mozart-Tradition. Mit Fritz Busch, Carl Ebert und Rudolf Bing standen ihm gleich zu Beginn drei Opernexperten zur Verfügung, die für Qualität bürgten. In dritter Generation von Gus Christie geführt, steht Glyndebourne auch heute für Oper auf höchstem internationalen Niveau.

Händels Giulio Cesare kann man durchaus als Lustspiel, als Musical und Komödie auf die Bühne bringen. Jedenfalls ist dies David McVicar mit seiner fröhlichen und geistreichen Inszenierung für das Glyndebourne Festival gelungen, die in diesem Jahr wieder auf dem Spielplan steht und die Zuschauer begeistert. Da wird auf der Bühne nicht nur vorzüglich gesungen, sondern auch leidenschaftlich gespielt, getanzt, geturnt und musiziert. Satire, Persiflage und britische (Selbst-)Ironie bestimmen Kostüme und Bühnenbilder. Zu sehen sind altägyptisches Dekor, Zeppeline und die Titanic ebenso wie die Heirat von Cäsar und Cleopatra im schönsten Rokoko-Ambiente. Eine ziemlich lange Barockoper wird so zum äußerst kurzweiligen Spektakel. McVicar versteht es zudem, auch die sensiblen Momente der Oper anrührend zu präsentieren. 

Glyndebourne steht ein fantastisches Sängerensemble zur Verfügung. Joélle Harvey ist eine quirlige, die Koloraturen nur so heraussprudelnde Sängerdarstellerin, ebenso wie Kangmin Justin Kim als Nireno. Anna Stéphany und Patricia Bardon begeistern als Sesto bzw. Cornelia. Christophe Dumaux, den wir zuletzt im November im Hamburger Il ritorno d'Ulisse erlebten, gab den herrlich dekadenten und machtbegierigen Tolomeo und John Moore einen potent-bösen Achilla. In den Jubel des Publikums zurecht einbezogen wurden die Damen und Herren des Orchestra of the Age of Enlightenment unter der Leitung des Barockexperten Wiliam Christie. 

24 Mitglieder des Richard-Wagner-Verbandes Frankfurt haben die Aufführung erlebt, ebenso am nächsten Tag den Rosenkavalier in einer launigen und ansprechend modern ausgestatteten Inszenierung von Richard Jones. Der junge Musikdirektor Robin Ticciati dirigierte das London Philharmonic Orchestra, welches Glyndebourne als luxuriöses Hausorchester dient. Eine bezaubernde Sophie gab ein Gast aus dem Frankfurter Opern-Ensemble, Louise Alder. Michaela Kaune überzeugte als lebenserfahrene Marschallin und Kate Lindsey wechselte nicht nur stimmlich wunderbar die Charaktere zwischen Octavian und dem "bewussten Mariandl" - sehr zum Vergnügen des Publikums. Der Ochs von Brindley Sherratt bot einen profunden Bass und er würzte sein akzentfreies Deutsch herrlich mit Wiener Schmäh. 

Passend war an beiden Tagen die unvergleichliche Atmosphäre von Glyndebourne: elegant gekleidete Damen und Herren im Smoking oder Schottenrock, gerne mit Strohhüten, die sich vor den Vorstellungen und in der 90-minütigen Pause zu feinen Picknicks auf den Rasenflächen zwischen farbenprächtigen Staudenrabatten und Rosengärten oder am Seerosenteich niederlassen. Allein die Schafe hatten offensichtlich Urlaub vom  Festivaltreiben und blieben in den Stallungen.

Dank der hervorragenden Kontakte unseres Reiseveranstalters Carus Travel konnte die ?Wagner-Society Frankfurt? eine Reihe von Glyndebourne-Extras genießen. Am ersten Tag stand uns der ?Old Green Room? vor, während und nach dem Giulio Cesare exklusiv zur Verfügung. Hier sangen sich einst die Sängerinnen und Sänger ein. Development-Direktor Andrew Higgins begrüßte die deutschen Gäste bei Champagner und Canapes und hob dabei den engen Bezug des Festivals zur Bayreuther Festspielidee hervor. Wenige Minuten bevor sich der Vorhang hob, durfte die Gruppe die Bühne besichtigen, was in der Kombination aus großartigem Bühnenbild und turbulenten Treiben der vielen Arbeiter ein unvergesslicher Eindruck war. In der großen Pause servierte der perfekt organisierte Festival-Caterer im "Old Green Room" ein vorzügliches 3-Gang-Menü. Zum Empfang nach der Vorstellung gesellten sich neben Glyndebourne Managing Direktorin Sarah Hopwood noch der sympathische Countertenor Kangmin Justin King, den einige Frankfurter von seinem Gießener Engagement kannten, und der Bass John Moore hinzu. Ein von der Gastfreundschaft sichtlich begeisterter Dirk Jenders sprach im Namen der Frankfurter Wagner-Freunde einen Toast auf Festival-Gründer John Christie und natürlich auf den Glyndebourne-Inspirator, Richard Wagner, aus. 

Am Rosenkavalier-Tag erlebten wir im Probensaal, dem Ebert Room, einen mit englischem Humor gewürzten Rückblick auf die Geschichte des Festivals und seinen Gründer John Christie. Der visionäre und tatkräftige Schöngeist hatte nichts weniger als ein "Bayreuth auf englischem Boden" im Sinn, als er 1934 auf seinem malerischen Landgut in Sussex ein 311-Plätze-Musiktheater baute. Dieses und der auf 1.200 Plätze vergrößerte Nachfolgebau von 1996 sind im Übrigen die einzigen Opernhäuser, die auf der britischen Insel im letzten Jahrhundert errichtet wurden. Und Glyndebourne hat sich tatsächlich zu einem der wichtigsten Musikfestivals in Europa entwickelt. Unsere Reise hatte aber neben dem Opernerlebnis noch vieles andere zu bieten. 

Was wäre ein Südengland-Aufenthalt ohne eine Besichtigung seiner großen Gärten; auch da hatte Carus Travel ein großartiges Programm zusammengestellt: Im Luxushotel Coworth Park wurde uns gleich nach der Ankunft der berühmte "cream tea" in einer höchst exklusiven Ausführung serviert. Das Niveau dieses Auftakts wurde zum Standard unserer sechs Reisetage. Die Parks von Hampton Court Palace, mit seinen Räumen aus dem 16. Jahrhundert, und Wakehurst, der von einem Deutschen geschaffene Nymans Garden und der Wisley Garden der Royal Horticultural Society beeindruckten durch ihre Pflanzenvielfalt und eleganten Kombinationen. In Winston Churchills Landgut Chartwell, heute ein ihm gewidmetes Museum, mit der von dem Politiker selbst gestalteten und eigenhändig mitgebauten Gartenanlage verbinden sich Geschichte und Gartenkunst ebenso wie im Hever Castle, Geburtsort Anne Boleyns, das vom US-Millionär William Waldorf Astor aufwändig restauriert wurde. Im prachtvollen und eigens für die Frankfurter Gruppe reservierten Astor-Wing wurde das Mittagessen eingenommen. In Petworth House bewunderten wir die unzähligen Kunstschätze, die dort zusammengetragen wurden. Etliche großartige Gemälde von William Turner sind darunter, der mehrfach den vom berühmtem "Capability" Brown gestalteten Landschaftsgarten des Schlosses malte. Als Kontrastprogramm dazu kann der Rundgang durch das englische Neuschwanstein gelten, den Royal Pavillon in Brighton, von außen an den Palästen indischer Mogule orientiert, im Inneren von der Vorliebe seines Erbauers, George IV, für China geprägt. 
Schließlich stand auch der Besuch eines vor 30 Jahren gegründeten Weingutes auf dem Programm. Heute bewirtschaftet die Familie mit über 100 Hektar ein Zehntel der gesamten Rebfläche Englands. Noch muss man erst herausfinden, welche Rebsorten zu Boden und Klima in dieser Anbauregion passen. Ungeachtet dessen glauben die Winzer im Süden Englands an eine große Zukunft; für ihren Schaumwein haben sie bereits nach dem Muster der Champagne die Herkunftsregion Sussex als Markenbezeichnung beantragt. Von diesem "Sussex" gab es immer wieder zu kosten, wenn die hervorragend ausgesuchten Mahlzeiten einen Aperitif verlangten. 

In allen aufgesuchten Restaurants hatte die englische Küche den Ruf früherer Zeiten weit hinter sich gelassen, unabhängig davon, ob es sich um edle Schlossrestaurants, einen ländlichen Gastropub oder ein hippes Strandlokal an der Südküste handelte. Und nach den langen, ausgefüllten Tagen bot unser luxuriöses Landhotel im Ashdown Park Erholung pur. 

Wenn es auf dieser rundherum perfekt organisierten Reise (1000 Dank dafür an Petra Kummrow!) etwas zu beanstanden gab, dann war es einzig der kühle Wind am Rosenkavalier-Tag. Trotz insgesamt sonniger Tage verhinderte er leider das traditionelle Glyndebourne-Picknick (was die robusten Engländer natürlich nicht davon abhielt, draußen ihre Tische aufzubauen oder sich auf Decken auf der Wiese zu lagern). Wir kommen einfach wieder und holen dieses besondere Vergnügen gerne nach. 

Text: Hannelore Schmid und Dirk Jenders, RWV Frankfurt a.M.